Amazon ist auf dem Vormarsch und das mit schwindelerregender Geschwindigkeit. Das in Seattle, Washington gegründete Unternehmen verkaufte im Juli 1995 sein erstes Buch im Internet und ist seitdem unaufhörlich und mit aggressiven Kurs gewachsen. Doch wie viele Marktanteile hat Amazon bereits erschlossen? Wo möchte das Unternehmen noch hin? Und was macht den Handelsriesen so erfolgreich? Kurz: Der Kunde ist König. Und bei Amazon ist er nicht nur König- Er ist Gott.
Amazons Kunden Obsession
Nach Amazons Philosophie geht es einzig und alleine darum, dem Kunden die absolut beste Einkaufserfahrung wie nur möglich zu bieten. Der Fokus bei allen Handlungen, die das Unternehmen tätig, liegt ausschließlich auf der Gewinnung von Vorteilen für den Endkunden. Diese “Customer Obsession” wird bei Amazon so weit an die Spitze getrieben, dass der Konzern sogar auf Gewinne “verzichtet” um sich die Gunst des Kunden zu erkaufen. Kein Zweiter weiß es den Weg vom Kaufinteresse zum letztendlichen Verbrauch so zielstrebig und angenehm zu gestaltet wie Amazon. Durch ein technisch fast einwandfreies User Interface und psychologisch effektiver Features ist die Conversionrate Amazons astronomisch hoch, wenn man als Vergleichsmaß „übliche“ CVRs im E-Commerce vergleicht.
Zudem bietet Amazon einen Kundenservice an, der für Händler zu Zeiten vor dem Internet Schweißausbrüche und vermutlich auch den Ruin bedeutet hätte. Die Standard Lieferzeiten von einem bis drei Tagen (Mit Amazon Go soll die Lieferzeit auf bis zu zwei Stunden gedrückt werden), kostenlose Retouren, verhältnismäßig tiefe Preise und die gefühlt unendliche Angebotsvielfalt wären damals undenkbar gewesen. Laut einer Umfrage sind es aber genau diese Aspekte die beim Kunden den Unterschied bei der Kaufentscheidung machen. Dabei gaben Kunden an, wie viel Wert sie auf bestimmte Aspekte eines Online -Shops legen, basierend auf einer Skala zwischen 0 und 100%. Das Ergebnis: Die Aspekte Preis/Leistung, einfache Bedienung, schnelle Lieferung und Retoure haben sich mit durchschnittlich über 90% als die wichtigsten Faktoren herausgestellt.
Amazons “Rundumsorglos” Effekt
Um das Maximum an möglichen Verkaufszahlen und Wachstum zu erzielen hat Amazon erkannt, dass es nicht reicht ein sehr beliebter Online-Shop zu sein. Amazons Wachstumsstrategie liegt zum einen darin, dem Kunden so nah wie möglich zu sein, um ihm in allen Lebenslagen dienen zu können. Denn je weniger Kontakt der Kunde mit einem anderen Unternehmen hat, desto mehr Umsätze gehen an Amazon. Und um den maximalen Kundenkontakt erreichen zu können hat sich Amazon einige bis dato eher untypische Services ausgedacht: Dash Buttons, Fire TV, Amazon Echo mit Alexa, Amazon Pantry, Amazon Key und viele weitere.
Der Dash Button ist mittlerweile nicht mehr nur wenigen Leuten ein Begriff. Ihm folgt der Dash Replenishment Service (DRS), welcher das gewohnte Produkt nicht nur auf Knopfdruck nachbestellt, sondern automatisch erkennt, wann der Bestand des Produktes zu Ende geht und anschließend selbstständig die Bestellung tätigt. Und wem das nicht modern und innovativ genug ist, der möchte sich doch für das Pilotprojekt “Treasure Truck” anmelden, welches heute in 25 Städten in den Vereinigten Staaten und in vier Städten im vereinigten Königreich unterwegs ist. Ist diese fahrende Schatzkiste, gefüllt mit den neuesten Angeboten und Top Sellern, nämlich unterwegs und in Kundennähe, so wird eine Benachrichtigung auf das Handy versendet und der Kunde weiß sofort, wo er die neuesten Schnäppchen erhaschen kann, ohne anderen Händlern überhaupt die Chance zu geben ihre Angebote zu präsentieren.
Die totale Marktübernahme durch Amazon
Zum anderen liegt Amazons Strategie in dem ständigen und stetigen Wachstum. Denn nach Jeff Bezos Ansichten können nur Wachstum und Innovation dem Unternehmen ein nachhaltiges Bestehen in der Wirtschaftswelt sichern. Im Jahre 2017 hat Amazon in den USA die höchsten Investitionen für Forschung und Entwicklung getätigt, mehr als Google, Intel, Microsoft und Apple. Gewinne werden oft zu hundert Prozent reinvestiert, wenn nicht sogar absichtlich (relative) Verluste bewirkt werden, nur um mehr Marktanteile und Präsenz in der Konsumwelt zu erlangen. Betrachtet man Amazons Geschichte einmal unter diesen Aspekten lässt sich schnell ein Trend erkennen. Neben dem klassischen Handel physischer Produkte ist Amazon mit zahlreichen Unternehmenssparten und Pilotprojekten auf dem gesamten digitalen Markt wiederzufinden. Amazon Kindle, Amazons eigener E-Book Reader, Prime Video, Amazon Web Services, Amazon Robotics, Prime Air, Amazon Pantry, Amazon Echo, Amazon Dash, die Liste ist lang. Und wer meint, dass wenigstens der stationäre Markt vor Amazons Machenschaften verschont bleiben wird, der täuscht sich gewaltig. Der lokale Lebensmittelmarkt ist schon seit langem in Amazons Visier. In den USA bringt die Übernahme von Whole Foods und frisch gestarteten Programmen, wie Amazon Fresh und Amazon Go, Bezos ein Stück näher in Richtung absolute Kontrolle und lässt die Grenzen zwischen Online und Offline Welt verschwinden.
Der Amazon “Flywheel”-Effekt
Doch vieles was Amazon bis heute erreicht hat wäre aus eigener Kraft kaum machbar gewesen. Kein Unternehmen dieser Welt hat die Kapazitäten hunderte Millionen an Produkten mit einem ordentlichen Qualitätsstandard nachhaltig und in dem Ausmaß wie Amazon es tut anzubieten ohne dabei auf externe Hilfe zurückzugreifen. Amazon hat mit der Öffnung seiner Plattform an dritte Händler und dem eigens entwickelten FBA-Programm ein Ökosystem geschaffen, das es dem Kleinunternehmer um die Ecke bis zum internationalen Großkonzern ermöglicht schnell und einfach an den goldenen Strom aus kaufinteressierten Kunden zu kommen. Amazon bündelt seine potentielle Konkurrenz und lässt diese in einem hauseigenen Konkurrenzkampf um den Platz an der Spitze kämpfen. Dadurch entsteht eine Dynamik, bei der Händler das Angebot noch ausgefeilter und größer gestalten, die Preise weiter drücken und noch mehr Traffic auf die eigene Plattform locken, was wiederum mehr Händler anlockt und das Angebot noch besser werden lässt, und so weiter. Dieser sogenannte “Flywheel Effekt” ist Amazons eigens geschaffener “Engelskreis” und macht Amazon nicht nur zum Nutznießer dieser lukrativen Stellung im Markt, es macht Amazon zum Markt-Eigentümer.
Der Dominanz Deep-Dive mit dem AMDI
Dass Amazon eine absolute Marktmacht ist, muss an dieser Stelle also kein zweites Mal erwähnt werden, doch wie stark dominiert Amazon den Markt wirklich? Um dieser Frage nach zu gehen haben es sich factor-a, Payback, die Unternehmensberatung Etribes und die Universität St. Gallen zur Aufgabe gemacht eine Kennzahl zu entwickeln, welche auf einem Blick preisgibt wie groß Amazons Anteil am Gesamtmarkt wirklich ist. Der so genannte Amazon Dominanz Index gibt auf einer Skala von eins bis zehn und in acht verschiedenen Kategorien an, wo Amazon den Markt bereits dominiert und wo noch Luft nach oben ist. Diese Werte bringen den entscheidenden Vorteil, dass Amazons Einfluss nicht mehr nur als graue angsteinflößende Wolke im Hinterkopf eines jeden Händlers schwebt, sondern dass man eine Perspektive dafür bekommt, wie die Realität wirklich aussieht. Sorgen nehmen ab, Investitionen lassen sich besser planen. In der Kategorie Elektronik & Computer beispielsweise hatte Amazon im Q1 2018 einen geschätzten Umsatz von 1,7 Mrd Euro, der deutschlandweite Umsatz lag in dieser Zeit bei ungefähr 4,8 Mrd Euro. Dies bedeutet, dass Amazon 35,06% des gesamten deutschen Marktes einnimmt und nach deutschem Recht beinahe als marktbeherrschend (40% der Marktanteile) eingestuft wird. Resultat: Die Dominanzstufe 9. Doch nicht überall kann Amazon überzeugen. Kategorien wie Lebensmittel (0,53% des deutschen Marktanteils und eine Dominanzstufe 1) und auch Fashion (hier sind Player wie Zalando oder About You nach wie vor führend) zeigen, dass auch Amazon mit Kategorie spezifischen Hindernissen zu kämpfen hat.
Amazons Problem(e)
Obwohl Amazon den ein oder anderen Coup gelandet hat, läuft nicht immer alles wie man es sich vorstellt. Das erste eigens entwickelte Smartphone beispielsweise, das Fire-Phone, sollte der nächste Bringer in der Erfolgsgeschichte Amazons werden. Tatsächlich stellte sich dieses aber als milliardenschwerer Flop heraus, welcher im Nachhinein für 99 Cent auf dem firmeninternen Markt gehandelt wurde und aufgrund der zu hoch geplanten Lagerbestände für 170 Millionen Dollar abgeschrieben werden musste.
Ständige Innovationen und das Austesten neuer Features und Services erfordern einen hohen Koordinationsaufwand, was die Weiterentwicklung des Kernnutzens für den Endkunden gefährdet und Ressourcen zerstreut. Ressourcen, die benötigt würden, um die enorme Zahl an neuen Sellern zu kontrollieren. Durch den extrem einfachen Zugang sind diese in der Regel nur über bereits abgeschlossene Verkäufe durch den Kunden für Amazon überprüfbar, was ein hohes Risiko für negative Kundenerfahrungen mit sich bringt.
Die Liste ist damit nicht zu Ende. Manche Verkaufssparten wie Bekleidung oder Beauty lassen sich von Amazon seit Jahren nicht wirklich in den Griff bekommen, und machen anderen Playern wie Asos, Zalando und About You den Weg frei. Und auf internationaler Ebene hält die Konkurrenz auch kein Schläfchen. Asiatische Organisationen wie Alibaba oder JD stoßen mit einer ähnlichen Dynamik in den asiatischen Markt vor und können in Marktsegmenten zu denen Amazon (noch) keinen Zugang findet schnell die Hosen an haben.
Wegen der freundlich ausgedrückten eher bescheidenen Arbeitsbedingungen in den eigenen Versandhäusern hat Amazon mit einem schlechten Image zu kämpfen. Fast die Hälfte aller Amazon Kunden geben an, Amazon die Treue zu kündigen sobald sich ein vergleichbares Angebot finden ließe. Auf die Folgefrage, warum dies in der Regel aber nicht der Fall ist gaben diese an, dass die generelle positive Customer Experience und die attraktiven Preise Amazon den entscheidenden Vorteil verleihen. Doch nicht nur schlechte Arbeitsbedingungen lassen negative Stimmen laut werden. Amazon zieht mit einer rationellen Steuerpolitik neben Kritik in der breiten Bevölkerung auch protektionistische Politiker, wie dem republikanischen Staatspräsidenten Donald Trump, auf sich. Dieser wirft Amazon vor, zu wenig oder gar keine Steuern zu bezahlen und dem US Postal Service durch zu niedrige Preise das Geschäft zu ruinieren. Wenn Amazon erst einmal eine Position in der Weltwirtschaft erreicht hat die den Handlungsbedarf der Politik unvermeidbar machen, lassen Regulationen oder sogar Aufteilungen nicht lange auf sich warten, was der freien Entfaltung und dem ständigen Wachstum erst einmal ein Ende setzen wird.
Fest steht, dass in der Zukunft kein Weg an Amazon vorbei führt. Tatsächlich geht es aus unternehmerischer Sicht darum sich zu entscheiden, nicht ob, sondern wie man mit Amazon umgeht. Payback, ein Unternehmen das auf den Erfolg mehrerer Händler im Verbund angewiesen ist, sieht sich von Amazons wachsender Dominanz bedroht und ruft dazu auf, gegen die wachsende Gefahr gesammelt vor zu gehen. Unternehmen die vom Erfolg Amazons profitieren, von private Label Sellern bis hin zu der Performance Marketing Agentur Intomarkets, sehen dies natürlich nicht so. Die womöglich beste Devise: von Amazons Stärken profitieren so lange sich die Gelegenheit noch bietet, anstatt sich gegen Amazon zu stellen und alleine auf der Strecke zu bleiben.
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