Das Thema Markenschutz und Produktschutz ist besonders durch bekannte Marken wie Birkenstock oder Ortlieb in den letzten Monaten und Jahren immer wieder in den Fokus gerückt. Produktpiraterie, Trittbrettfahrer und Plagiate speziell aus Fernost sind ein zunehmendes Problem auf dem Marketplace und ein gefundenes Fressen für die Medien und Öffentlichkeit. Keine Frage: Kopierte Markenprodukte sind ein Problem und in einigen Fällen sogar ein Risiko für Konsumenten. Warum ein Rückzug der Marke von Amazon eine denkbar schlechte Idee ist soll einmal in diesem Artikel ausführlich erklärt werden.
Inhaltsverzeichnis:
- Markenpräsenz auf Amazon wird immer wichtiger
- Wenn ich nicht auf Amazon verkaufe, dann suchen sich meine Kunden einen anderen Weg.
- Markentreue sinkt – Chance und Risiko für Marken steigen
- Brand Search vs. Generic Search auf Amazon
- Wenn ich mich als Hersteller von Amazon zurückziehe, dann ist meine Marke besser geschützt.
- Ich kann als Markenhersteller meinen B2B-Händlern verbieten meine Produkte auf Amazon zu verkaufen.
- Strategie von Amazon etwas zwielichtig, um Marken / Hersteller zu gewinnen
- Ich kann auch außerhalb von Amazon erfolgreich verkaufen
- Amazon Produkt vs. Ortlieb-Webshop
- Ich verliere Kunden an Amazon und das ist schädlich für meine Marke.
- Wer auf Amazon verkauft, muss auch rechnen können
- Fazit: Marken müssen aufwachen und Amazon nicht als Feind betrachten
- Diskussion auf Facebook
Markenpräsenz auf Amazon wird immer wichtiger
Wie wichtig Amazon als Verkaufskanal im E-Commerce ist und immer stärker wird, kann mittlerweile durch verschiedene Statistiken belegt werden. Auch wenn die Zahlen hier abweichen, so ist eines klar: Amazon ist DIE Produktsuchmaschine (und Findemaschine) in Europa und den USA. Wer ein bestimmtes Produkt oder vielleicht sogar schon eine konkrete Marke im Kopf hat, der beginnt seine Produktsuche immer häufiger bei Amazon und das auch, selbst wenn keine konkrete Kaufabsicht besteht. Oftmals wird Amazon auch „nur“ als Preisindikator oder für das Prüfen von Kundenbewertungen genutzt. Ist man dann erst einmal auf der Plattform unterwegs, ist die Wahrscheinlichkeit eines Kaufabschlusses höher als in jedem anderen Webshop oder Marktplatz.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wer nicht auf Amazon vertreten ist, bzw. sich schlecht präsentiert, der wird im Zweifel gar nicht wahrgenommen, was mittel- und langfristig ein echtes Problem für die Marke bedeuten kann.
Trugschluss #1: Wenn ich nicht auf Amazon verkaufe, dann suchen sich meine Kunden eben einen anderen Weg.
Genau diese (falsche) Annahme dürfte wohl bei einigen Produktmanagern und Marketing-Verantwortlichen im Kopf herumschwirren und dann zu teilweise fatalen Fehlentscheidungen hinsichtlich zukünftiger Verkaufsstrategien führen.
Nehmen wir also einmal an, dass ein Kunde nach einem bestimmten Produkt in Kombination einer konkreten Marke sucht. In diesem Fall wird er mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bei Amazon seine Produktsuche starten. Was aber passiert, wenn seine Suche erfolglos bleibt? Wenn er das Markenprodukt nicht auf Amazon findet. Fälschlicherweise geht man dann oft davon aus, dass der betreffende Käufer seine Suche bei Amazon abbricht und sich einen anderen Weg sucht, indem er z.B. bei Google seine Suchanfrage wiederholt. Laut eigener Aussage von Amazon schließen jedoch 90 Prozent der Menschen, die ihre Recherche auf Amazon starten auch den Kauf genau hier ab. Folglich würde nur 1 von 10 Suchenden den Marktplatz verlassen und sich einen Alternativweg für den Kauf suchen.
Markentreue sinkt – Chance und Risiko für Marken steigen
Wenn wir eines in den letzten Jahren durch Amazon gelernt haben, dann das: Es war noch nie so einfach, für unbekannte Marken und Hersteller Produkte im großen Stil zu verkaufen. Nicht einmal um die Logistik muss ich mich kümmern, wenn ich am FBA-Programm (Fulfillment by Amazon) teilnehme. In China das Sourcing erledigen, das eigene Logo drauf, Container nach Europa oder in die USA verschiffen lassen und direkt ins Amazon Warenlager liefern. Wer jetzt noch seine Hausaufgaben bei der Produktoptimierung und beim Amazon Advertising macht, der hat eine sehr hohe Chance, gefunden zu werden und erfolgreich auf dem Marktplatz zu verkaufen. Warum Private-Label-Seller oft wesentlich besser auf Amazon aufgestellt sind, als traditionelle Markenhersteller, haben wir in diesem Blogartikel einmal erklärt: https://www.intomarkets.com/warum-deutsche-und-europaeische-markenhersteller-auf-amazon-ein-problem-haben/
Brand Search vs. Generic Search auf Amazon
Keine Frage: Große und bekannte Marken werden auch bei Amazon gesucht und gefunden. In einigen Bereichen wie Fashion oder Elektronik führt oftmals kein Weg an traditionellen Marken vorbei. In diesem Fall spricht man auch von einer „Brand Search“, also von einer Suchanfrage mit einem bestimmten Markennamen. Dennoch darf man nicht unterschätzen, dass in vielen Bereichen nicht die Marke im Vordergrund steht, sondern das Produkt selbst. Durch das riesige Angebot auf Amazon (allein in Deutschland sind dies ca. 300 Millionen aktive Produkte), der Preistransparenz und der Bewertungsplattform sind potentieller Käufer immer häufiger bereit, auch unbekannte Markenprodukte zu bestellen. Sucht man bspw. nach „Gemüseschneider“ ist die erste SERP (Suchergebnisseite) voll mit Noname-Produkten, die fast alle via Prime erhältlich sind, teilweise über 300 positive Bewertungen gesammelt haben und scheinbar alle das Problem „Gemüse schneiden“ zu einem günstigen Preis lösen können. Nur 4 Traditionsmarken (Fissler, Moulinex, WMF und Russel Hobbs) hat es auf die erste SERP geschafft.
Genau von diesem Beispiel gibt es tausende, was wiederum bedeutet, dass speziell durch Marktplätze wie Amazon klassische Marken es immer schwerer haben werden. Käufer vertrauen immer mehr auf Bewertungen durch andere Käufer und sind bereit, altbekannte Marken-Denkmuster zu durchbrechen. Andererseits schaffen es viele Marken zu generischen Suchanfragen ohne Markenbezug (auch „Generic Search“ genannt) nicht mehr in den sichtbaren Bereich der Konsumenten. Folglich sinken die Absatzchancen rapide. Seine Marke adäquat zu schützen, hat also nicht nur etwas damit zu tun, Plagiate zu unterbinden. Wer nicht im Fokus der Konsumenten ist, der hat es auf Dauer auch als bekannte Marke im Onlinehandel schwer.
Trugschluss #2: Wenn ich mich als Hersteller von Amazon zurückziehe, dann ist meine Marke besser geschützt.
In den letzten Jahren haben wir als Amazon Agentur natürlich auch mit vielen Marken und Hersteller gesprochen und leider ist der oben genannte Trugschluss noch in vielen Köpfen verankert. Dass dies aber nicht funktionieren kann, zeigt das Beispiel „Birkenstock“. Hier hatte man sich erst in den USA und dann in Deutschland entschieden, sich von Amazon zurückzuziehen, um seine Markenprodukte gegen Fälschungen besser schützen zu können. Dass dies aber, mit Verlaub, eine strategische hochgradig dumme Entscheidung war, zeigt ein Blick in die Suchergebnisse von Amazon:
Circa 5.000 Produkte werden gefunden, wenn man nur nach dem Markennamen „Birkenstock“ sucht. Auch wenn diese Produkte vielleicht nicht mehr durch den Hersteller selbst angeboten werden, finden sie dennoch ihren Weg auf den Marktplatz. Teilweise von über 100 verschiedenen Resellern werden die Produkte nach wie vor auf dem Marktplatz angeboten. Dass der Hersteller selbst nicht mehr aktiv ist, merkt man kaum, bzw. als Endkunde überhaupt nicht. Man sucht nach Birkenstock und findet Birkenstock.
Aber aus Sicht des Herstellers ergibt sich jetzt noch ein ganz anderes Problem: Er überlässt das gesamte Feld den B2B-Sellern und auch seinen Konkurrenten. Einerseits leidet die Markenpräsentation dadurch, denn die Bilder sind z.T. in keiner guten Qualität und auch die Produktinformationen sind weder einheitlich noch mehrwertig auf vielen Produktdetailseiten. Andererseits schalten auch andere (unbekanntere) Marken auf den Suchbegriff „Birkenstock“ fleißig Werbung und das ist auch rechtlich in Ordnung. Wenn dann noch die bezahlten Suchergebnisse den Erwartungen potentieller Birkenstock-Käufern halbwegs entsprechen (z.B. Preis, Bewertungen, Optik der Artikel), dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass zwar erst nach einer bestimmten Marke gesucht, aber dann ein ganz anderes Noname-Produkt gekauft wird. Und macht das nicht nur ein Kunde, sondern 100, 1.000, 10.000 und mehr Menschen so, entgeht den Marken hier eine große Umsatz- und Absatzchance auf einem der wichtigsten digitalen Marktplätze der Welt.
Trugschluss #3: Ich kann als Markenhersteller meinen B2B-Händlern verbieten meine Produkte auf Amazon zu verkaufen.
Auch das ist ein stark verankerter Irrglaube bei vielen Konzernen und Marken. Nun bin ich kein Jurist, habe aber mit solchen schon häufiger über das Thema gesprochen. Tatsächlich ist ein pauschales Verbot für Händler (Reseller) zum Verkauf der Produkte auf Amazon so nicht umsetzbar, denn hier greift das Wettbewerbsrecht. Jeder Verkäufer kann seine Produkte zu einem beliebigen Preis auf einem beliebigen Kanal verkaufen. Gelebte Praxis ist natürlich, dass große Marken ihren Händler auf verschiedenen Ebenen Druck machen und somit den Verkauf auf Amazon unterbinden wollen.
Auch hier ist wieder eine bekannte Marke in den Medienfokus gerückt: Ortlieb. Hier ging es weniger um Produktpiraterie als viel mehr um die Tatsache, dass Amazon (automatisiert) Werbung auf den Markennamen in der Google-Suchmaschine geschaltet hatte. Diese Werbung führte dann zu Suchergebnisseiten von Amazon, welche vor allem Drittmarkenprodukte zeigten. Der BGH gab dem Fahrradtaschen-Produzenten letztlich bei seiner Klage recht und Amazon ruderte die Anzeigen zurück (Quelle: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019100.html?nn=10690868). Ein Sieg, der eigentlich eine Niederlage ist – für Ortlieb, denn auch hier hat man offensichtlich nicht verstanden, wie eine Customer Journey funktioniert.
Strategie von Amazon etwas zwielichtig, um Marken / Hersteller zu gewinnen
Korrekterweise muss man dazu sagen, dass diese Art der Werbeschaltung von Amazon schon etwas „shady“ war, denn es legt den Verdacht nahe, dass der Marktplatz nur vom Markennamen profitieren wollte, ohne den Hersteller selbst als Lieferanten nutzen zu können. Das würde natürlich nie jemand so offiziell bestätigen, aber Amazon versteht es sehr gut, seine Marktmacht als Druckmittel einzusetzen, um von Marken beliefert zu werden, die es noch nicht auf dem Marktplatz gibt. Ein größeres Portfolio lockt schließlich mehr Käufer, das wiederum lockt weitere Verkäufer und die wiederum investieren immer stärken in bezahlte Suchergebnisse auf der Plattform. Win-Win-Win also für die Jungs von Jeff Bezos und ein Paradebeispiel für das Amazon Flywheel.
Aber: Der Weg von Ortlieb, sich von Amazon gänzlich fernzuhalten, ist ein Fehler, den man im Zweifel fatalerweise erst später spüren wird. Warum? Ganz einfach: Immer mehr Menschen starten (wie oben bereits beschrieben) direkt und ohne Umwege mit ihrer Produktsuche auf Amazon und schließen dort den Kauf auch ab. Das mag man gut oder schlecht finden, aber es ist ein Fakt, an dem man nicht vorbeikommt. Ortlieb versucht stattdessen weiter beharrlich auf den Fachhandel im Retail-Bereich, zertifizierte (sehr eingeschränkte) B2B-Reseller und den eigenen Webshop zu setzen. Keine Frage: Qualitätsprodukte wie Fahrradtaschen von Ortlieb sind im Fachhandel gut aufgehoben und bedürfen im Zweifel einer fachlichen Beratung.
Ebenfalls richtig ist, dass der Webshop von Ortlieb zu vielen wichtigen Suchbegriffe bei Google derzeit gut dasteht (z.B. Suchbegriff „Fahrradtasche“ mit über 40.000 Suchanfrage pro Monat auf Platz 3). Allerdings führt das zu einem weiteren Trugschluss, der offenbar auch bei den Entscheidern des Taschenherstellers verankert ist:
Trugschluss #4: Ich kann auch außerhalb von Amazon erfolgreich verkaufen
Das trifft vielleicht (ohne die konkreten Absatzahlen von Ortlieb zu kennen) in diesem Fall mit der Kombination aus Retail + Webshop zu, aber wird das auch in Zukunft so sein? Kann Ortlieb sich darauf verlassen, dass der spezialisierte Fachhandel weiterhin ein so sicheres und umsatzstarkes Standbein ist? Sind potentielle Käufer wirklich so markentreu, dass sie Amazon in diesem Bereich im Zweifel ignorieren und überwiegend im Webshop von Ortlieb bestellen? Wie sich die Geschäftsführung des Markenherstellers diese Fragen beantwortet haben wird, kann man sich anhand der eingeschlagenen Strategie wohl selbst beantworten.
Die Realität aktuell und in Zukunft sieht allerdings so aus, dass das größere Geschäft dann wohl andere Marken auf Amazon in diesem Segment machen werden. Sicherlich werden die Fanboys der Marke Ortlieb weiter dort einkaufen, wo es die Produkte gibt und dann folglich nicht auf Amazon. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass auch diese markentreuen Kunden parallel Amazon-Kunden sind und vielleicht sogar Prime-Accounts haben. Sie stehen also schon mit einem halben Bein genau in dem Marktbereich, den Ortlieb auf Gedeih und Verderb meiden will.
Amazon Produkt vs. Ortlieb-Webshop
Dazu kommt ein weiterer Fakt: Sucht man bei Amazon nach „Fahrradtasche“, dann wird man mit über 60.000 Produkten allein im deutschen Marktplatz konfrontiert, die man jetzt sofort kaufen kann. Schauen wir einmal kurz ein bisschen tiefer und zeigen, warum die Anti-Amazon-Strategie von Ortlieb hoch riskant für das Weiterbestehen der Marke ist.
Konkret ist der derzeitige Bestseller No. 1 (Stand 16.09.2019) zum Suchwort „Fahrradtasche“ ein Produkt einer ebenfalls nicht unbekannten Marken: VAUDE (Produkt: Aqua Back Single Hinterradtasche). Jetzt bin ich persönlich zwar kein Experte in diesem Produktsegment, aber als passionierter Fahrradfahrer, sieht das Pendant von VAUDE auf Amazon recht vergleichbar aus. Größe, Fachaufteilung, Befestigung und Material sind für mich als „normaler“ Kunde ziemlich ähnlich. Im Ortlieb-Webshop ist hier mein Referenz-Beispiel der „Velo-Shopper“. Nochmals: Ich gehe hier von einem Otto-Normal-Käufer aus, der sich für den Weg zur Arbeit ein schöne, qualitativ ordentliche Fahrradtasche kaufen will. Im direkten Vergleich sind die Taschen optisch ähnlich und sogar die Lieferzeit von ca. 2 Tagen vergleichbar. Aber: Auf Amazon kostet das Produkt nur knapp 60 EUR und im Ortlieb-Shop knapp 100 EUR. Dazu kommt, dass bei Amazon fast 200 überwiegend positive Bewertungen zu dem Produkt existieren und sogar einige echte Kundenbilder mit dem Produkt am Rad einsehbar sind. Zudem wurde zu den Produktbilder noch ein recht ordentliches Produktvideo hochgeladen, dass die Tasche im Einsatz zeigt. Im Ortieb-Webshop gibt es dafür einige schöne Bilder mehr und einen 360-Grad-View. Die Beschreibungstexte und Produktdetails sind annährend vergleichbar.
Hier noch einmal kurz die Vergleichsaspekte aus Sicht eines „Normalkunden“:
Amazon Produktdarstellung:
+ bekannter Markenhersteller
+ günstiger(er) Kaufpreis von ca. 60 EUR
+ Bestseller-Badge für „Gepäcktragertaschen“
+ 199 Bewertungen mit 4,6 von 5,0 Sternen Durchschnitt
+ 64 beantwortete Kundenfragen zum Produkt
+ Produktvideo und echte Kundenbilder
+ Prime-Versprechen und kurze Versandzeit
+ Amazon-Account sehr wahrscheinlich schon vorhanden & eingeloggt
– wenig Textdetails zum Produkt selbst
– fehlende Innenansicht bei den Hauptbildern
Ortlieb Webshop:
+ bekannter Markenhersteller
+ viele Produktbilder mit Innenansicht und im Einsatz
+ 360-Grad-Perspektive
+ kurze Versandzeit
– teurer(er) Kaufpreis von ca. 100 EUR
– keine Bewertungen durch andere Käufer
– kein Prime-Versprechen (Lieferzeit, Retoure, Kundenservice)
– ggfs. noch kein Kunden-Account
– langer Checkout / Registrierprozess (ca. 10-11 Klicks als Neukunde)
– kein Produktvideo
Legt man nun beide Angebote nebeneinander, dann wir recht offensichtlich, wofür die allermeisten Käufer sich entscheiden würden. Der Normalkunde geht IMMER den Weg des geringsten Widerstands und den bietet eindeutig Amazon mit einem sogar vermeintlich vergleichbaren Produkt, dass sogar noch günstiger ist. Ich muss nun entweder schon ein sehr großer Amazon-Hasser und/oder Fanboy der Marke Ortlieb sein, um mich hier auf andere Pfade zu begeben und genau DAS wird auf die meisten Kunden eher nicht zutreffen. Das Hauptumsatzgeschäft im digitalen Bereich geht hier also an Ortlieb vorbei und die Frage drängt sich auf: Kann sich das eine Marke auf Dauer leisten? Es ist fatal und naiv anzunehmen, dass man es mittel- und langfristig mit Amazon aufnehmen kann und es wäre wünschenswert, dass traditionelle Marken mit tollen Produkten ihr Business im E-Commerce vor Engstirnigkeit und falschen Annahmen nicht gegen die Wand fahren.
Trugschluss #5: Ich verliere Kunden an Amazon und das ist schädlich für meine Marke.
Auch diesen Punkt diskutieren wir oft mit Kunden und der Retail-Branche, denn anders als im Webshop gebe ich meine Kundendaten aus der Hand und offenbare meine Umsätze. Das stimmt auch so, aber das muss nicht schädlich sein, bzw. muss anders verstanden werden. Ebenfalls wird immer wieder gern das provisionsbasierte Kostenmodell von Amazon kritisiert und wie günstig dagegen ein eigener Webshop wäre. Dass aber auch die Wartung, das Design und die gesamte Warenwirtschaft von Mitarbeiter inhouse oder extern mit einem eigenen Webshop erledigt werden muss und damit hohe Kosten entstehen, wird in dieser Gleichung gern vergessen.
Zurück aber zum 5. Trugschluss, denn beim Thema „Branding“ und Langfristigkeit wird gern übersehen, wie die höheren Absatzzahlen bei Amazon auch einer Marke helfen können. Richtig ist: Analyticsdaten und Kundendaten verbleiben weitestgehend bei Amazon und im Webshop hätte man das in der eigenen Hand. Richtig ist aber auch: Auf Amazon erreiche ich wesentlich mehr Käufer und setze mit einer ordentlichen Strategie aktuell und in Zukunft viel mehr Produkte ab, als mit dem eigenen Shop. Jedes Produkt, dass über Amazon zusätzlich in den Umlauf und damit in die physische Präsenz des „echten Lebens“ anderer Menschen kommt, sorgt natürlich seinerseits für eine größere Wahrnehmung auch bei weiteren potenziellen Käufern. Verkauft z.B. die Marke Ortlieb statt (fiktive Zahlen) 100 Taschen am Tag nur mit dem eigenen Webshop fortan 400 Tasche mit einer Multichannel-Strategie, dann erreicht man so auch in der Offline-Welt mehr potenzielle andere Käufer, denn schließlich sind 300 weitere Produkte prod Tag mehr unterwegs. Die Visibilität der Marke steigt und das wiederum verbessert auch die Bekanntheit der Produkte. Im Zweifel verliert man also keine Kunden, sondern gewinnt sie eher langfristig.
Wer auf Amazon verkauft, muss auch rechnen können
Fakt aber bleibt auch, dass auf Amazon ein gewisser Preiskampf herrscht und dieser nie zu steigenden Margen und höheren Profiten führt. Generisch gesuchte Produkte sind natürlich im Preiskampf zwischen den Markenherstellern viel vergleichbarer und geraten damit unter einen höheren Druck. Sich sinnlos und ohne alle Risiken zu kennen z.B. direkt als Vendor auf Amazon zu betätigen, kann schnell wirtschaftlich nach hinten losgehen. Denn hier bestimmt Amazon die Verkaufspreise und auch die Abnahmemengen. Jede Marke und jeder Hersteller kann aber sehr einfach selbst als Seller auf Amazon aktiv werden und dank FBA auch das Prime-Logo erhalten – eine wichtige Grundvoraussetzung für gute Conversion-Rates. Als Seller lassen sich Endpreise, Darstellungen und Breite des Portfolios zu 100% selbst kontrollieren. Es ist also ein bisschen wie im eigenen Webshop, nur dass man hier automatisch mehr Reichweite und eine deutliche höhere Conversion-Rate hat. Natürlich muss man rechnen können und bspw. seine Deckungsbeiträge im Griff haben. Nur Absatz und Umsatz allein macht noch kein profitables Geschäft. Aber selbst wenn potentielle Margen im eigenen Webshop besser sind, muss man sich die ehrliche Frage stellen, wie viel höher die verkaufte Stückzahl auf Amazon dazu ist.
Dazu kommt auch der Fakt, dass Google-Traffic ebenfalls nicht kostenlos ist – ganz im Gegenteil: Google Shopping und Search Ads liegen im direkten Vergleich mit PPC-Werbung auf Amazon oft um das 2- bis 5-fache höher. Während bspw. der Klickpreis bei Google für eine Werbeanzeige zum Suchwort „Fahrradtasche“ 0,43 EUR kostet, bezahlt man bei Amazon derzeit nur die Hälfte, also 0,21 EUR pro Klick auf die Kampagnen. Multipliziert man dies nun mit einer durchschnittlichen besseren Conversion-Rate (CVR), kommt folgendes Rechenbeispiel dabei heraus:
- Google-Anzeige: 0,43 EUR CPC * 3% CVR = 14,33 EUR CPO (Cost per Order)
- Amazon Anzeige: 0,21 EUR CPC * 8% CVR = 2,62 EUR CPO
Das bedeutet also bei diesem Beispiel, dass durch eine durchschnittlich höhere Conversion-Rate und günstigere Klickpreise jeder Verkauf aus „Paid Search“ (klickbasierte Werbeanzeigen) auf Amazon 11,71 EUR günstiger ist. Dies könnte man direkt auf den Preis umlegen und wäre (oberflächlich betrachtet) auf Amazon mit einem günstigeren und damit kompetitiven besseren Verkaufspreis genauso profitabel, wie mit seinem eigenen Webshop. Natürlich kommen hier noch viele weitere Faktoren wie Retouren-Quote und -Kosten, Lagergebühren, Versandgebühren, Service-Gebühren, Personalkosten usw. dazu. Das heißt man kommt um eine ordentliche Deckungsbeitragsrechnung nicht herum.
Fazit: Marken müssen aufwachen und Amazon nicht als Feind betrachten
Der Fakt aber bleibt: Amazon wird stärker, größer und vielschichtiger. Die noch günstigen Klickpreise werden mit zunehmendem Wettbewerb teurer und die Chance, seine Marke strategisch in einem der wichtigsten Absatzkanäle der westlichen Welt zu platzieren, wird kleiner und die Herausforderungen steigen. Es ist ein bisschen wie Siemens und das Klapphandy: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.
Birkenstock und Ortlieb sind zwei Beispiele, wie man Amazon strategisch unterschätzen kann und damit einen vielleicht fatalen Weg sein Unternehmen einschlägt. Natürlich ist das einseitig betrachtet und natürlich sind wir bei intomarkets Fanboys von Amazon. Es gibt selbstverständlich aus Unternehmens- und Markensicht viele Gründe, die gegen den Marktplatz und sein z.T. sehr fragwürdiges Auftreten sprechen. Es ist aber auch hier vieles im Wandel und die Bedeutung Amazons im E-Commerce weltweit immer wichtiger.
Es geht bei diesem Artikel weniger darum, nur auf „draufzuschlagen“ und ein erstklassiges Amazon-Loblied zu singen, denn es ist bekanntlich nicht alles Gold was glänzt. Aber wir sehen ehrlicherweise eine große Gefahr für bekannte Marken mit tollen Produkten, deren Management den Onlinehandel und die Bedeutung von Amazon darin falsch bewertet. Marken wie Ortlieb und Birkenstock sind nur zwei Beispiele von vielen. Marken und Hersteller müssen endlich aufwachen und dürfen die Augen nicht vor dem verschließen, was längst Fakt ist: Amazon wird nicht wieder verschwinden. Man muss auch kein Fan von Amazon sein, man darf auch vieles hinterfragen, kritisch bewerten oder ehrlich ablehnen. Aber borniertes Ignorieren ist der falsche Schritt. Stattdessen muss man einen Weg finden, Amazon für sich als Markenhersteller zu nutzen. Denn eines ist klar: Wenn man es selbst nicht tut, wird es früher oder später der Wettbewerb machen.
Diskussion zum Artikel auf Facebook
Dass dieser Artikel kontrovers gesehen kann, ist absolut verständlich. Ob und wie eine Marke auf und mit Amazon direkt agieren sollte, sollte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Genau das ist auch der Fall auf Facebook, denn hier wird munter und tiefgründig über diesen Inhalt diskutiert. Da dies eine gute Ergänzung und zusätzlichen Mehrwert für den Blogartikeln liefert, habe ich hier die Diskussion einmal eingefügt. Wenn du selbst mitdiskutieren möchtest, dann gern unten ein Kommentar abgeben oder hier auf Facebook beteiligen: https://www.facebook.com/groups/AmazonOptimierung/permalink/2232044550252000/
Feedback Nutzer 1:
Leider sehr eindimensional gedacht/geschrieben, der Artikel. Denn was da für diese beiden “Traditions-Marken” gar nicht mit betrachtet wird, sind der schlechte Amazon B2B Support, Amazons Unfähigkeit mit China-Plagiaten umzugehen und dem Aufwand und den Folgen, die da hinter stecken. Welcher Mehraufwand steckt dahinter innerhalb von Amazon gegen Plagiate vorzugehen, die Amazon nicht selbst als solche erkennt und nur träge drauf reagiert? Wie geht man mit Kunden Kritik um, die sich neben den eigenen, echten Produkten, auf die Plagiate bezieht? Wer bezahlt den Mehraufwand? Das schlechte Markenimage, was dadurch entsteht, wenn man selbst dort verkauft und den Kunden sagen muss, dass sie Fakeware gekauft haben, die sich innerhalb von Amazon für einen Endverbraucher nicht von den Originalen unterscheiden lassen, kann mitunter gefährlicher für das Markenimage sein, als konsequent nicht selbst dort zu verkaufen. So gesehen für mich daher nachvollziehbar und in meinen Augen auch definitiv ein Betrachtungswinkel, der in den Artikel gehört um das Thema seriös von allen Seiten zu beleuchten. Amazon-Agentur hin oder her.
Meine Antwort:
Vielen Dank für das ausführliche Feedback. Und ich gebe dir zum Teil recht, dass der B2B-Support teilweise unterirdisch bei Amazon ist.
Und ja: Amazon bekommt derzeit das Problem mit Plagiaten nicht in den Griff. Aber das ist kein uniques Amazon-, sondern eher ein Marktplatz-Problem.
Um nun aber beispielsweise an Markenschutzprogrammen wie project Zero, Transparency oder Brand Gating zu partizipieren, MUSS man hier auch als Marke aktiv werden, sprich angemeldet sein. Ist man es nicht, überlässt man auch alles anderen der Fremdsteuerung.
Was du (und auch viele andere) in deiner Betrachtung völlig außen vorlässt, sind 2 wichtige Punkte:
- Die allermeisten Konsumenten kaufen nicht mit dem Wissen, vom Hersteller direkt oder vom Reseller zu kaufen. Sie kaufen bei Amazon. Das wars. Wird dann ein Plagiat erworben, ärgert sich der Käufer so oder so.
- Finden doch auch ohne Partizipation eines Herstellers die Produkte ihren Weg zu Amazon. Wie im Artikel beschrieben, sind tausende Birkenstock Produkte sowie online. Nur weil der Hersteller nicht mitmacht, löst sich die Präsenz der Marke nicht in Luft auf. Konsequente Ablehnung ist bestenfalls naiv aber nicht realistisch.
Dazukommt, dass es z.B. bei Ortlieb nie um Plagiate ging. Man setzt hier ausschließlich auf Fachhandel und den eigenen Shop. Damit verhindert man ebenfalls nicht, dass irgendwann auch Ortlieb Plagiate auf dem Markt den Marktplatz gelangen. Im Gegenteil: Man bekommt es zu spät oder gar nicht mit. Auch hier ist ein konsequentes Nichtstun schädlicher als ein strukturiertes Teilnehmen.
Antwort Nutzer 1:
Danke dir, ich bin da auch fast überall bei dir.
Punkt 1: Absolut! Die wenigsten achten drauf, wer Ihnen letztendlich das Produkt verkauft. Das Reputationsmanagement bei Amazon schätze ich persönlich höher ein, wenn ich als solche Marke dort selbst sich anbiete. Den verärgerten Kunden, der sich anschließend direkt bei mir meldet kriege ich eher wieder auf meine Seite, als die breite “Amazon-Käufermasse”. Meiner Meinung nach.
Punkt 2: Bin ich auch bei dir. Da sind dann aber meine Händler in der Bringschuld, verärgerte Kunden oder schlechte Produktdarstellungen auszubügeln. Damit sind wir zwar schnell wieder bei Punkt 1, aber der Händler wird ein Interesse haben, seine Bestände dort zu verkaufen. Dünnes Eis in meiner Argumentation, I know.
Definitiv spannend und eine Diskussion, mit der wir sicherlich einen Abend füllen könnten. Danke für deine Einschätzung!
Meine Antwort:
Mal eine Idee, die ich neulich einem Hersteller aufgezeigt habe: Ladet doch mal eure besten Händler zu einem Infoabend ein, erklärt ihnen, wie wichtig eine saubere Produkt- und Markendarstellung auf Amazon für sie selbst und das ganze Netzwerk ist. Ladet euch 1-2 externe Experten ein und erarbeitet zusammen einen Leitfaden und schickt diesen an jeden Händler, den ihr beliefert. Nach dem Motto gemeinsam stark. Kostet auch Zeit und Geld, dürfte unterm Strich viel zielführender sein, also Vogel-Strauß-Taktik.
Übrigens habt ihr damit auch eine Grundlage geschaffen, um ggfs. schwarzen Schafen auf Rechtswegen den Verkauf eurer Produkte zu verbieten, weil sie der Marke schaden. Dazu gibt es ebenfalls schon Urteile.
Abschließend: Wie bereits im Artikel gesagt habe: Ich will nicht nur draufschlagen, sondern wachrütteln. Wir haben hierzulande viele tolle Marken, die es gerade aktuell verpassen, Amazon FÜR SICH zu nutzen.
Feedback Nutzer 2:
Eine ganz wichtige Seite wurde in den Artikel gar nicht beleuchtet. Gerade Ortlieb und Birkenstock unterhalten traditionell gute Beziehungen zum Fachhandel. Beispiel Ortlieb: Es gibt keinen Fahrradhändler der diese Marke nicht im Sortiment hat. Gerade bei Reiseradlern ist diese Marke das Non-Plus Ultra und für die Fachhändler ein wichtiger Zuverkauf.
Menschen die Fahrradtaschen weit jenseits der 100,- € Marke kaufen, kaufen Ihre Fahrräder nicht Online. Engagiert sich Ortlieb auf Amazon müssen Sie sich mit Plagiaten und Preiskämpfen auseinandersetzen , zudem drücken die Provisionen ordentlich die Marge.
Irgendwann werden die Fachhändler unruhig und suchen sich Alternativen, wenn Sie zusehen müssen, das Ihr Hersteller Ihnen das lukrative Zubehörgeschäft über Amazon unter UVP wegnimmt.
Aus der Sicht eines Premiumherstellers finde ich es Konsequent, die Ware nur über ausgewählte Onlineshops und dem Fachhandel zu vertreiben. Gut für Marke und Marge.
Meine Antwort:
Danke dir für den Hinweis. Kurz angerissen wurde es, dass „Fanboys“ der Marke (inkludiert in diesem Fall auch „Reiseradler“) ihre Produkte eher Offline, bzw. im Fachhandel kaufen. Das wird auch für solche Marken so bleiben, aber Ortlieb entgeht hier schlichtweg ein ganz anderer, viel größerer Markt und die Frage bleibt zu klären, ob eine Traditionsmarke auf Dauer von dieser eher eingeschränkt existierenden Anzahl von Spezialkunden leben kann. Denn auch diese werden tendenziell irgendwann mehr und mehr online kaufen.
Und nochmal Udo Meyer: Nur weil ein Hersteller wie Ortlieb nicht auf Amazon aktiv ist, gibt es die Produkte dort trotzdem. Allein auf der ersten Suchergebnisseite zum Keyword „Orlieb“ gibt es 18 verschiedene Angebote. Vielleicht sind hier schon Plagiate dabei. Bestellt jetzt ein Kunde solch ein Produkt und bewertet es deswegen negativ, schadet das der Marke enorm, weil der Hersteller selbst aufgrund seiner Ignoranz hier nicht interveniert.
Zu den Margen: Das ist Augenwischerei und wenig fundierte Kalkulation. Selbst wenn man 15% an Amazon bezahlt… ein Webshop ist NICHT kostenlos. Alles, was hier z.B. durch Mitarbeiter und Lizenzgebühren bezahlt wird, ist bei Amazon bei der Provision inkludiert. Dazu kommt (wie im Artikel erwähnt) das der Traffic bei Amazon oft viel günstiger eingekauft werden kann, was wiederum der Marge hilft. Eine pauschale Verteufelung der Provisionszahlung an Amazon ist zwar gelebte Praxis, aber eine keine ordentlich kaufmännische Betrachtung.
Und ja, es ist konsequent, seine Produkte als Hersteller nicht direkt anzubieten, gleichzeitig aber eben auf naiv, denn die Artikel existieren schon längst auf Amazon aber eben ohne jede Kontrolle seitens der Marke selbst. Der Endkunde bekommt davon letztlich gar nichts mit, denn er kauft das, was bei Amazon angeboten wird. Und angeboten werden die Markenprodukte auch ohne Hersteller.
Sich einzig und allein auf den Fachhandel zu stützen ist ein antiquiertes Konzept. Das mag heute noch gut gehen, aber morgen vielleicht nicht mehr. Dann ist es aber umso schwieriger, in den Markt zu kommen. Viel eher sollte man sich überlegen, wie Fachhandel und Hersteller gemeinsam auf digitalen Marktplätze agieren und nicht nur pauschal alles abzulehnen, was zukünftig das Geschäft kosten kann.
Ronny beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung, ist regelmäßig auf Konferenzen als Speaker unterwegs und bloggt gerne über seine Kernkompetenz SEO.
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