Erfolgsfaktor: Produktempfehlungen auf Amazon
Im globalen E-Commerce ist vor allem ein Player nicht mehr wegzudenken: Amazon. Was vor 25 Jahren mit einem kleinen Bücher-Onlineshop angefangen hat, ist heute ein Konzern der Superlative geworden. Mit weltweit ca. 600.000 Mitarbeiter, einem globalen Logistik- und Fulfillment-System, eigener Cloud (AWS, Amazon Web Services), eigener Hardware (kindle, Fire TV, Echo usw.), eigenen Produkt- und Handelsmarken (z.B. Find, Amazon Basics usw.), Musik- und Videostreaming und einem Marketplace, der allein in Deutschland ca. aktive 300 Millionen Produkte umfasst. Von den einen neidvoll beäugt, von anderen skeptisch analysiert und wieder anderen enthusiastisch gefeiert: Amazon ist allgegenwärtig und immer wieder stellt sich die Frage, warum Amazon so erfolgreich ist? Worauf begründet sich der globale Siegeszug? Manchmal sind es vor allem die kleinen Dinge, die kleinen Steinchen, die eine Lawine ins Rollen bringen. Und eines dieser kleinen Steichen nennt sich „Produktempfehlung“, welche ausschlaggebend dazu beigetragen hat, dass z.B. das Amazon Flywheel sich überhaupt erst drehen konnte und sich nach wie vor immer schneller zu drehen scheint.
Warum Produktempfehlungen auf Amazon so wichtig sind
Zwei Schritte zurück: Was genau bedeutet eigentlich Produktempfehlung und vor allem im Kontext des Amazon Marktplatzes? Zurückzuführen ist dies wohl auf einen der ersten Entwickler, die Amazon im Jahr 1997, also 3 Jahre nach Gründung in Seattle, eingestellt hat: Greg Linden. Der ursprünglich im Marketing angesiedelte Linden sollte für die damals noch kleine Bücher-Online-Plattform von Jeff Bezos eine Art intelligentes Empfehlungssystem entwickeln, um mehr Produkte pro Bestellung, bzw. pro Kunde verkaufen zu können. Die erste Idee dahinter war simpel aber komplex zu gleich und auf Grund der Rechenkapazität der 90er Jahren im Prinzip von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Greg Linden setze hier anfangs auf ein System, das Nutzer und ihr Kaufverhalten direkt miteinander vergleichen konnte. Der Gedanke dahinter klingt logisch: Was ein Kunde gekauft hat, könnte einen anderen Käufer auch interessieren. Auf diesem Grundgedanke basieren auch heute noch Produktempfehlungen auf Amazon. 1997 jedoch wurden Kundenprofile direkt und live miteinander verglichen und das brachte die damals laufenden IT-Systeme schnell an ihre Leistungsgrenze, da selbst zu diesem Zeitpunkt schon einige Millionen Datensätze miteinander abgeglichen werden mussten. Die Folge waren immer langsamere Empfehlungen und eine trägere Verkaufsplattform – Gift für Wachstum, Skalierbarkeit und Conversion.
Item-to-Item Collaborative Filtering
Eine kleine, aber sehr effektive Neukalibrierung der zu vergleichenden Daten änderte aber alles. Es wurden nicht mehr Nutzer, sondern Produkte miteinander verglichen. D.h. Produkt mit Produkt („item-to-item“) war die neue Datenbasis für die dann folgende Produktempfehlung. Der Gedanke dahinter war clever: Wurden bestimmte Produkte sehr häufig zusammengekauft, wurden sie fortan auf der Plattform auch entsprechend genau so angezeigt. Das gleiche Prinzip funktionierte nicht nur bei bestellter, sondern auch angesehener Ware, d.h. Produkte, die oft hintereinander von potenziellen Käufern angeschaut wurden, bekamen ebenfalls eine Nebeneinanderdarstellung („collaborative filtering“, gemeinsame Darstellung / Sortierung) und wurden so besser in den Fokus der Nutzer gerückt. Das Gute daran war, das nun nicht mehr Daten in Echtzeit ausgewertet werden mussten. Alle direkten Produktvergleiche konnten offline aufbereitet und mit ein wenig Zeitverzögerung auf dem Marktplatz ausgespielt werden. Das schonte begrenzte Rechenkapazitäten und machte Amazon wieder schnell und effektiv. Der Grundgedanke, Nutzer und der Kaufverhalten miteinander zu vergleichen, war dabei nach wie vor im Fokus, nur passierte dies eben nicht mehr auf komplexen Customer-Journey-Daten, sondern auf echten Verkäufen.
Amazons Produktvergleiche funktionieren nicht immer
So clever dieses „Item-to-Item”-System auch war und nach wie vor ist, es hatte ein Problem: Es funktionierte nicht immer. Vergleicht man „nur“ Verkäufe und Produkte mit dem gleichen Grundinteresse bei Käufern (z.B. „Kunden, die diesen Artikel angesehen haben, haben auch angesehen“, „Kunden haben auch Folgendes gekauft“ oder „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch“) kann das schnell die Sicht verzerren. Bestimmte Bestseller stehen aufgrund ihrer Popularität in keinem direkten Verhältnis zu einem konkreten, anderen Produkt, bzw. lassen nur schwer ein gemeinsames Kaufinteresse (collaborative Filtering) zu. Kommt dann noch ein saisonaler oder temporär eingeschränkter Kaufeinfluss dazu, verzerrt sich das Bild noch weiter. Ein Beispiel:
- Nutzer 1 kauft einmal pro Monat für durchschnittlich 100 EUR auf Amazon vorwiegend technische Gadgets ein. Am Amazon Prime Day ist der Echo besonders günstig und Nutzer 1 kauft sich das Gerät.
- Nutzer 2 kauft nur 3-mal pro Monat für durchschnittlich 50 EUR auf Amazon ein. Er interessiert sich im Wesentlichen nur für Bücher und Hörbücher. Aktiviert durch eine Werbeaktion kauft aber auch er den reduzierten Amazon Echo zum Prime Day.
Das Gleiche wiederholt sich mit ca. 1 Millionen Käufern, denn so viele Sprachassistenten hatte Amazon 2018 am Prime Day verkauft. Unterschiedlicher dürften die Kaufprofile für diesen Tag verbunden mit diesen Produkten (Amazon Echo) kaum sein. Rein auf Produktdaten basierend ist hier eine Kaufempfehlung mit dem „alten Algorithmus“ kaum zu meistern.
Amazon ist zwar über die letzten Jahre deutlich besser geworden, um zusammengekaufte Produkte folgerichtig zu empfehlen, dennoch gibt es u.a. aufgrund oben beschriebener Thematik Schwierigkeiten mit sinnvollen Produktvergleichen. Ein weiteres, kleines Problem sind zusammengenutzte Accounts, denn diese „verwirren“ den Amazon Algorithmus nach wie vor. Kauft bspw. die Frau häufig über denselben Computer und Account des Mannes auf Amazon ein, so sind hier zwei völlig verschiedene Nutzerprofile und Käuferprofile aktiv.
Big Data hilft Amazon bei Produktvergleichen
Was Ende der 90er Jahre noch zum Scheitern verurteilt war, erscheint heute wieder unter neuem Licht. Dank quasi unendlich skalierbarer Rechenkapazität mit eigenem Cloud-System kann Amazon heute Live-Daten sehr performant auswerten und für die Produktempfehlung nutzten. Zwar gab es 1997 erste Ansätze mit Big Data komplexe Datenvergleiche zu ermöglichen, aber live war das damals kaum möglich. Heute können viel mehr Datenpunkte miteinander verglichen, live analysiert und sofort zu einer Kaufempfehlung herangezogen werden. Im Vergleich zu Google hat Amazon z.B. den entscheidenden Vorteil, dass Nutzer sowohl am stationären Computer als auch mit der eigenen Shopping-App immer eingeloggt sind. Jede einzelne Suchanfrage wird analysiert, archiviert und zur Clusterung von Nutzerprofilen herangezogen. Das Ganze muss noch nicht einmal in einem tatsächlichen Kauf münden – allein die Art wie, wann und wonach man sucht, lässt einen direkten Rückschluss auf das eigene Käuferprofil zu und hilft Amazon dabei, Produktempfehlungen smart zu platzieren. Auch bisher gekaufte Artikel sind dank deutlich verbesserter Rechenkapazitäten sehr komplex auswertbar und machen den Nutzer wieder gläserner. Ein Beispiel:
- Kunde 1 sucht mehrmals pro Tag nach dem Begriff „Smartwatch“. Einige Monate zuvor hat er sich ein neues Android-Smartphone über Amazon bestellt. Kurz danach suchte er häufiger nach neuer Sportbekleidung. Vor über 2 Jahren hat sich der gleiche Nutzer auf Amazon ein paar Running-Schuhe bestellt. Diese wenigen Datenpunkte reichen schon, damit Amazon ihm nun bspw. eine Android-basierte Smartwatch (passend zum Smartphone), ein dazu passenden Pulsmessgurt und vielleicht sogar ein paar neue Sportschuhe empfiehlt.
- Kundin 2 suchte vor 3 Monaten intensiv nach „Babybett“, kaufte dies aber nicht bei Amazon. Nach 3 Monaten kaufte die gleiche Kundin ein Windelpaket-Abo in der kleinsten Größe. Auch hier ist es wiederum ein Leichtes für Amazon zu antizipieren, dass hier künftig häufig Babyprodukte in nachvollziehbarer und aufbauender Altersstufe empfohlen werden.
Allein diese oben genannten Beispiele zeigen, dass allein das Suchverhalten auf der Amazon-Plattform für zukünftige Kaufverhalten eine echte Goldgrube sein kann. Kombiniert man dies mit bereits bestehenden „Item-to-Item“ Vergleichen und Empfehlungen, so entsteht schnell ein sehr effektives Marketing-Tool, das Nutzer zu einem intensiveren Kaufverhalten verleiten können und sollen – ganz im Sinne von Amazon.
Produktempfehlung und Advertising werden immer wichtiger für Amazon
Nach einer aktuellen Studie von McKinsey basieren schon heute bei Amazon über 35% aller Käufe auf Produktempfehlungen. Kombiniert man diese Tatsache mit zwei weiteren Fakten, dann zeichnet sich ein deutliches Bild ab:
- Über 90% der Nutzer, die ihre Produktsuche auf Amazon starten, schließen auch mit einem Kauf auf dem Marketplace ab.
- Über 60% der produktnahen Suchen starten direkt auf Amazon und nicht mehr auf Google oder anderen Plattformen – Tendenz steigend.
Im Umkehrschluss heißt das vor allem eines: Amazon wird immer wichtiger, wenn es um den Verkauf von Produkten geht. Schon heute „weiß“ Amazon enorm viel über seine Nutzer und kann dies dank immer besserer Empfehlungsmechanismen und Werbemöglichkeiten effektiver an den Mann und an die Frau bringen. Dank „neuer“ Echtzeit-Werbemöglichkeiten, wie dem Programmatic Advertising (Amazon DSP) aber auch bestehender PPC-Kampagnen (auf Klick- und Keyword-basierter Methodik im Amazon Advertising) lassen sich Produktempfehlungen nicht nur automatisiert seitens Amazons, sondern auch direkt von Händlern und Marken direkt ausspielen. Basierend auf Millionen von Datensätzen, die stetig komplexer und zahlreicher werden, müssen Produktempfehlungen nicht mehr nur auf einem „Item-to-Item“-Prinzip basieren. Aufgrund von sehr detaillierten Nutzerprofilen lassen sich Produkte bereits bei kaufwilligen Nutzern „empfehlen“, bevor diese aktiv danach suchen oder geschweige denn über einen Kauf aktiv nachgedacht haben.
Kurz gesagt: Was 1997 mit einem einfachen Produktvergleich begonnen hat, ist heute Dank freiskalierbarer Rechenkapazität, Machine Learning und Big Data zu einem echten „Monstrum“ geworden, von dem mittel- und langfristig vor allem einer profitiert: Amazon.
Ronny beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung, ist regelmäßig auf Konferenzen als Speaker unterwegs und bloggt gerne über seine Kernkompetenz SEO.
Ich finde ihren Artikel sehr gelungen…